Halbzeit.
Seit drei Monaten bin ich nun in Istanbul. Ist die Zeit bisher vorangeschritten, beginnt sie sich von nun an rasend schnell gen Ende zu neigen. Jetzt heißt es nicht mehr „schon“ drei Monate, jetzt heißt es „nur noch“. Den bitteren Nachgeschmack, den des baldigen Lebewohls, muss man aber nicht aufkommen lassen. Die erste Hälfte meines Aufenthaltes ist geschmückt von neuen Eindrücken und Erfahrungen – und wer jetzt denkt, der Alltag würde dem aufregenden Leben hier den Wind aus den Segeln nehmen, der täuscht sich.
In Istanbul kein Gewicht zuzulegen – das schafft man meines
Erachtens nur mit Disziplin, Sport und essunfreudigen Weggefährten. Natürlich
ist letzteres immer eine Typ-Frage, aber festzuhalten ist dennoch: Essen ist
hier wichtig. Mezeler, ana yemekleri, tatlı – und nicht zu vergessen die
unzähligen Streetfood Optionen.
Köstlich! Geld muss man auch keines ausgeben. Sicherlich würde man hier ohne
einen Penny überleben, denn die Türken „füttern“ gerne. Ob beim Gemüsehändler,
im Kiosk des Sprachzentrums oder die türkischen Kommilitonen: Jeder gibt was
aus und das gerne „zu Fuß“, also mit der eigenen Hand in den fremden Schlund. Alles
soll probiert werden, denn auf die türkische Küche ist man hier sehr stolz und
das zu Recht.
Es dauert drei Monate und braucht fünf Kilo mehr auf den
Hüften, dann ist es soweit. Eine sportliche Betätigung muss her. Es geht ins
Fitnessstudio – in zwei verschiedene und vergleicht man beide, prallen Welten
aufeinander. Fitnessstudio Nummer Eins ist das Studio meines Mitbewohners und
raubt einem zunächst den Atem: Überall stehen Wasserspender, es gibt eine Bar,
diverse Kurse, einen Pool, Sauna, Rainshower-Duschen, Parfum und natürlich sind
überall Fernseher, sogar in den Toilettenkabinen. Fitnessstudio Nummer Zwei ist
nicht einmal halb so schick. Vielmehr ähnelt es eher einer „Mucki-Bude“, in der
Schweiß und laute R`n`B Musik in der Luft liegen und Bodybuilder von der Wand lächeln.
Stundenlang werden wir hier von zwei bemühten Trainern durch die Gegend
gehetzt. Scheinbar sind wir zu ihrem kleinen Projekt geworden, denn neben dem
Training werden wir auch gleich auf Diät gesetzt: Şeker yok, tatli yok.
Auch ansonsten wird der Alltag hier von aberwitzigen Momenten geschmückt: Der Bier-Kauf kann zumeist zu einer langwierigen Suche ausarten, je nachdem wie konservativ die Gegend oder Stadt ist, in der man sich aufhält. Selbst in Istanbul wird in großen Ketten ab 22 Uhr kein Alkohol mehr verkauft – da kann das zweite Bier es auch mal nicht über den Kassenscanner schaffen. Beim kuaför gleicht der Schneideprozess einem Sitz auf dem heißen Stuhl: Nachdem meine Mitbewohnerin und ich 15 Minuten am Empfang auf Beachtung warten, bis wir schließlich den schlafenden Mitarbeiter hinter der Theke bemerken, verläuft der Friseurbesuch soweit routiniert. Aber dank der Sprachbarriere darf man bis zum Schluss bangen, ob die Schere nicht doch noch zu hoch angesetzt wird. Sogar zur Maniküre und Pediküre verschlägt es mich und im Beautysalon arbeiten ausschließlich dickbäuchige Männer, die nur das Fußballspiel im Auge haben und derweil die Damen für die Partynacht aufhübschen.
Und dann wären da natürlich noch die Uni und der Sprachkurs.
Neben inhaltlichen und fachlichen Kenntnissen darf man hier auch mehrere
Stunden Cultural Studies genießen. Alleine in meinem Sprachkurs herrscht ein buntes
Miteinander, in der man bei Zeiten auch meinen könnte, es würde sich um einen
Arabisch-Kurs für Fortgeschrittene handeln. Neben drei Deutschen sitzen hier
Menschen aus der Mongolei, Syrien, Ägypten, Libanon, China, Russland und den Vereinigten
Arabischen Emiraten. Viele Nationen, die auch Gehör finden (wollen): Von der
arabischsprachigen Front kommt ein ständiges Geschnatter und gerne auch
kommentierende Einwürfe à la „Oh this turkish vocabulary is same in arabic.“ –
und das im Zehn-Minuten-Intervall. Addiert man dazu noch das ständige
Handyklingeln und die zwischenzeitlichen Telefonate in diversen Sprachen, entfernt
sich der Geräuschpegel der komfortablen Zimmer-Norm. Und dann hört man natürlich
noch unsere Lehrerin sprechen – fast ausschließlich in Türkisch und das ab dem
ersten Tag. In diesem Sinne: Kolay gelsin.
***
mezeler = Vorspeisen/
ana yemekleri = Hauptspeise/ tatlı =
Nachtisch, Süßspeise
şeker yok, tatli yok. = Zucker gibt`s nicht. Süßes gibt`s
nicht.
kuaför = Damenfriseur
kolay gelsin = Frohes Schaffen!
Gefällt mir immer besser. Man hat Gefühl man ist live dabei. Bitte mehr vom Alltag. Einfach gut
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